Otto Bächli

Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik von Karl Barth, Neukirchen 1987

S. ...:

Bächli 98f.: "Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß der Schriftbeweis nur ein einziges Mal (II/2, 391) als ‘das Christuszeugnis des Alten Testaments’ eingeführt wird. Im ganzen wird man urteilen müssen, daß Barth den alttestamentlichen Schriftbeweis nicht als ‘Christuszeugnis’ verstanden wissen will." Hierzu verweist Bächli u.a. auf Schlichting 91.112f.127.

Zum Biblizismus: wenn dieser die Autor(in)ität des Dogmas akzeptiert, dann o.k., weil dann aus der Nachbarschaft der Titanismen entfernt (Bächli 106f.). Barth wird verschieden beurteilt: neg. als Biblizist oder fast als solcher; pos. davon entlastet oder sein Biblizismus gutgeheißen — deutlich: weder die Richter untereinander noch Barth in sich einheitlich (Bächli 108f.)

Bächli 124ff.: Barths Arbeit am Christuszeugnis des AT auch deutlich am Längsschnitt in KD II/2,58ff. (Begriffe Erwählung/Erwählter). Der Exkurs habe präparativen Charakter auf Christus hin. Barth teilt die Geschichte Israels in 4 Perioden von Adam bis Christus, ohne aber Apg 7; 13 oder Mt 1 zu erwähnen. Barth bewege sich auf der Grenze zwischen Geschichtsphilosophie und heilsgeschichtlichem Denken. Bächli 126: Das Geheimnis der Erwählung sieht Barth in 2 Phänomenen: 1) Reduktion (Menschheit im Ganzen–Noah u.a.); 2) Stellvertreter / Platzhalter: das Reich Davids, Salomo, Serubabel; dann Barth: "Es kann nach allem Vorangegangenen nur Gott selber sein, der jetzt als Davidssohn den Thron einnimmt, um alle Verheißungen in einem Schlage wahr zu machen." Bächli: der Längsschnitt sprengt hier den alttestamentlichen Rahmen und mündet im NT (Kreuz). Die Geschichte Israels nennt Barth mehrfach "Vorbild", "Zeichen": der "Rest" als Zeichen des Volkes etc. – Bächli 127: Man mag die Akzentuierung und Periodisierung Barths für subjektiv halten; Barth hält sich aber an biblische Muster.

229: Schöpfung als äußerer Grund des Bundes = P; Bund als innerer Grund der Schöpfung = J. Gliederung der Auslegung zu Gen 1 wie Gen 1 selbst, entspr. Barths Schriftverständnis: "Indem sich der Kanon der Kirche imponiert, wird er für den Systematiker nicht minder als für den Exegeten und den Prediger verbindlich und normativ.- Barth möchte Gen 2 nicht als Anhängsel und Kommentar zu Gen 1 lesen, sondern als eigene, selbständige Sage von demselben Geschehen. Jede der beiden Sagen hat ihre eigene Harmonie, die als solche einzeln zu hören ist (Bächli 230). Der Exegese voran geht die Erkenntnis, daß "ein sachlicher Widerspruch nicht in Frage kommt" (Bächli 230f.)

a) Barths Weg mit dem AT: biblische/kanon.Denkform; AT=Zeugnis der Erwartung, NT=Zeugnis der Erinnerung. keine Verwischung der Grenzen der Testamente. Daß das AT kirchlicher Kanon ist, hat die Kirche nicht zu entscheiden, sondern nur zu bestätigen, daß der Kanon sich ihr imponiert. Ohne "Druck von außen" wäre dieses Verständnis nicht reif geworden.

b) Barth hat von den Vätern, Brüdern und Söhnen selektiv Kenntnis genommen, sich dabei sein eigenes Urteil aber vorbehalten. Den Fachmann (Baumgartner) hat er auch da respektiert, wo er ihm nicht folgen konnte.

c) In seiner Exegese ist Barth keiner Schule verpflichtet; das einzige namhaft zu machende Prinzip ist "scriptura scripturae interpres". "Vorbild wohl am ehesten Calvins Auslegung. Dieses Prinzip zwingt ihn zur biblischen Denkform und läßt ihn vor allem vergleichbare Stellen aus dem Alten und Neuen Testament zur Erklärung eines Zusammenhangs heranziehen. Dabei bemüht er sich, die spezifischen Aussagen seiner zitierten Zeugen zur Geltung zu bringen, auch wenn er häufig eine Aussage zur dominierenden macht. Mehrfach werden Texte und Textgruppen zu einem Begriff aus der Systematik oder aus der Ethik abgehört; dabei wird deutlich, daß solche Subsumierung nicht problemlos ist und gelegentlich nicht ohne Pressung des Textes abgeht; daß z.B. ‘des Menschen Lüge’ am Buch Hiob exemplifiziert wird, ist nur dann diskutabel, wenn die Lüge nicht als einziges Thema des Hiobbuches suggeriert wird. Einen Sonderfall sowohl in der systematischen wie in der exegetischen Arbeit Barths stellt seine Schöpfungslehre in Gestalt eines theologischen Kommentars dar. Damit hat Barth Neuland betreten; hier wird die Sekundärliteratur sowohl von der Dogmatik als auch von der Auslegung her noch eine Vielzahl grundsätzlicher Fragen anzumelden haben. Exegetische Schwachstelle dürfte allerdings nicht die Auslegung von Gen 1 und 2 als Schöpfungslehre sein, es sind eher einzelne Partien der Erwählungslehre, in denen Barth sich weniger vom Texte als vom Thema leiten läßt; daß die Exegese ohne ‘Rest’ aufgeht, macht sie gelegentlich verdächtig. Weit weniger anzufechten sind die historischen Paraphrasen. So ist Barths Weg ein Weg mit dem Alten Testament. Smend hat seine Exegese als ‘nachkritische Schriftauslegung’ bezeichnet. Barth will nicht den Anschein erwecken, als habe es die historisch-kritische Forschung nicht gegeben und als habe sie nicht ihre guten Früchte gezeitigt; aber er will sich mit diesen Früchten nicht begnügen. Er kann nicht bei Gunkel stehenbleiben. In diesem Sinn läßt sich sein Programm, ‘kritischer als die historisch Kritischen’ zu sein, verstehen. Nachkritische Schriftauslegung ist unvergleichlich schwieriger als kritische oder vorkritische. Daß Barth sich dieser Schwierigkeit nicht entzogen hat, wird ihm von den Fachleuten mehrfach attestiert."

d) Barth wirkte immer in der Kirche, bezeugte aber auch immer, daß der Auftrag der Gemeinde auch draußen zu erfüllen sei ("prophetische Existenz der Kirche"). Der Christ als Einzelner und die Kirche als Ganzes ist Hermeneut, Bote. Nicht Arkandisziplin; das Wort ruft nach Applikation im Handeln, in der Predigt und in der polit. Verantwortung der Kirche.

Barth legt den Schwerpunkt nicht auf das Schema "Verheißung/Erfüllung", sondern Erwartung/Erinnerung, womit jenes nicht mehr den präparativen-pädagogischen Charakter hat, der dem AT meist zugestanden wurde. Jesus ist schon in seiner Vorgeschichte der Inhalt und das Thema (Bächli 330, Barth KD I/2, 89).

332: Evtl. wirkte Hegel nach in einem evolutionärem Denkschema, wenn er hoffte, das Problem der natürlichen Theologie werde nicht wieder aufkommen.— Barth selber war zu Kurskorekturen bereit, was Klappert an seiner Israellehre zeigte.

 

 

 

S.Felber, Juni 1995