Thematische Querschnitte Jürgen Rolof Wundergeschichten,

Ein großer Teil der erzählenden Jesusüberlieferung besteht aus Wundergeschichten. Gerade aber diese machen Schwierigkeiten für das Verständnis, da heutzutage Wunder die Naturgesetze durchbrechen, damals aber alle Ereignisse waren, in denen man außergewöhnliche Kräfte zu spüren meinte. Das Wunder hatte damals Hinweischarakter.
Dabei ist zu beachten, daß Wundergeschichten auch bloße Darstellungsmittel, literarische Stilisierungsmittel und erzählerisches Requisit sein können.
Dem heutigen Ausleger steht eine dreifach Aufgabe ins Haus:
die Wundergeschichten von den zeitgenössische Voraussetzungen her erschließen,
ihre Gattungs- und Stilmerkmale analysieren und
den theologischen Sinn, den Hinweis auf Gottes Handeln erklären.

Terminologie
Es gibt im NT keine einheitliche Bezeichnung für Wunder. Begegnen können:
dunamis  Machtentfaltung, Krafterweis heißen die Wunder bei den Synoptikern und   betonten damit den Hinweischarakter.
shmeion   Zeichen Jesu Wunder als Zeichen der Legitimation.
shmeion kai terata Zeichen und ungeheuerliche Erscheinungen entstammt dem at-lichen   Sprachgebrauch.
Religionsgeschichtlicher Hintergrund
Um es vorwegzunehmen: Es gibt keine Verbindung zwischen den hellenistischen Wundergeschichten und den synoptischen Wundergeschichten. Die einzige Berührung ist die der volkstümliche Aretalogien mit den apokryphen Apostelakten.
Schon eher gibt es eine Verbindung zwischen den jüdischen Wundergeschichten und den Apostelwundern in der Apostelgeschichte. Im jüdischen wundergeschichten wird von Gebetserhörungen berichtet. Bei beiden Jüdischen Wundergeschichten und Apostelwunder steht der Glaube und das Gebet im Mittelpunkt.
Im Gegensatz dazu stehen die Wundergeschichten im NT: Hier wird nicht die Gott oder dem Glauben die Vollmacht des Heils und des Helfens zu geschrieben, sondern Jesus selbst.

Allgemeine überlieferungsgeschichtliche Kriterien
Wachstum von Wunderüberlieferungen
Dabei sind Steigerungen, Mk1046 zu Mt2030, Mk89 zu Mk644 und Mt1421
Dubletten, Mt927-31 und Mt2029-34 gehen auf Mk1046-52 zurück, Mk81-10 zu Mk630-44
Umsetzung von Bildworten in Erzählungen, Verfluchung des Feigenbaums Mk1112-14,20 aus dem
 Gleichnis Lk136-9, Fischzugserzählung Lk51-11 uas dem Menschenfisherwoert Mk127
Übertragungen uas der Umwelt, Tempelsteuerddiskussionen Mt1724-27 , V27 sekundär, hat Parallelen  zu einem Ring des Polyykrates, Totenverehrung in Nain Lk711-17 hat Parallelen zu  einem Wunder von Apollonius von Tyana, das Weinwunder zu Kana Joh21-11 hat  Parallelen zum Dionysos-Mythos.
Veranschaulichung theologischer Bezüge, d.h. vorallem von at-lichen Prophetenwunder
 mit dem Theologumenon vom Wiederaufleben des prophetischen Geistes der Endzeit.  Speisungwunder Mk630-44 und 81-10 hat Anspielungen auf Elia 1Kön178-16 und Elisa   2Kön41-7,42-44 oder das Finden des Esels beim Einzug in Jerusalem Mk112-7 und des  Abendmahlraumes dient der Veranschaulichung, daß Gott Jesus alles zur Verfügung  stellt, was er jetzt braucht.
zubeobachten.
Topik, d.h. bestimmte stereotype Elemente sind zu erkennen.
Exposition mit Schilderung der Krankheitsgeschichte und Schwere der Krankheit. Darstellung des Heilungsvorgangs: wirkkräftige Manipulation des Wundertäters, wunderwikrenden Worte, Bedrohung des die Krankheit verursachenden Dämons.
Erzählabschluß mit öffentlicher Demonstration des Erfolges und Schilderung des Eindrucks des Publikums.
Jedoch ist diese Topik nicht so festverankert wie in den hellenistischen Aretalogien. Im Gegen-teil, deshalb kann man mit der Formel "Je stärker sich topische Elemente in einerWundergeschichte häufen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß es sich um eine späte Bildung handelt" das relative Alter bestimmen.

Gattungsklassifizierung
Sitz im Leben ist die missionarische Verkündigung.
Bultmann
teilt die Gattungen in Heilungswunder und Naturwunder ein. Ein bißchen mau wie Roloff meint. Zum gleichen Ergebnis kommt er bei
Dibelius,
der die Wunder in Paradigmen (knappe Erzählung der Wunder) und Novellen (am Detail interessierte Wundererzählung) einteilt
Roloff teilt nach dem Gesichtspunkten Situation der auftretenden Personen und der Struktur des Handelns Jesu ein und kommt zu folgenden Gattungen der Wundergeschichten:
Exorzismen
Mk123-27,51-20,9914-29 haben Kampfcharakter der Gegenspieler Jesu
ist der Dämon und ist Sieger über ihn und den Kosmos. Pointe liegt in der Anerkennung der Stärke und Herrschaft Jesu
Heilungen
Mk129-31,40-45,731-37,822-26, Mt81-13 zwar ist ein Dämon der Verursacher einer Krankheit, aber der Gegenüber ist der Mensch. Das Handeln Jesu hat helfenden, heilenden Charakter, denn heilenden Gesten und Worte stehen im Mittelpunkt, berichtet wird meist von der Hinwendung Jesu zum bedürftigen Menschen, wobei das Glaubensmotiv ein wichtige Rolle spielt.
Rettungswunder
Mk436-41,631-44,45-52,81-9 Die Rettung von Menschen aus akuten Notlangen und vor feindlichen Naturgewalten werden berichtet. Das Wunder vollzieht sich an Gegenständen wie Wind, Wellen, Schiffen und Nahrungsmitteln.
Die Bedeutung der Taten Jesu im Rahmen seines Wirkens
Trotz aller sekundären Bildungen bleibt ein fester Kern, nämlich, daß der Mittelpunkt des Wirkens Jesu das helfende und heilende Handeln stand, was historisch unbestreitbar ist. Naja wenn er meint, ich mein's net.

Eschatologischer Charakter
Auf jeden Fall steht der eschatologische Charakter im Vordergurnd. Die Wundergeschichten waren aufrüttelden Hinweise darauf, daß Gott entscheidend zu handel begonnen hat mit Jesus. So stehen die Wundergeschichten in einem engen Verhältnis zur Verkündigung der anbrechenden Gottesherrschaft. Die gilt besonders für die Exorzismen da Gottes Mach sich gegen die widernatrürliche Gewalten durchsetzt und sie überwindet. Schlußfolgerung: Exorzismen Entmachtung des Bösen, Heilung ist die eschatologische Selbstdurchsetzung Gottes.
Unterordnung der Tat unter das Wortgeschehen
Nur sehr sparsam werden die Gesten und Praktiken beschrieben die Betonung liegt viel mehr auf dem Wort, das die Heilung auslöst. Jesus soll in den älteren Überlieferungen als der erscheinen, der das endzeitliche Handeln Gottes im Wort darbietet. Ohne das Wort, das Heilung wirkt, bleibt das Wunder zweideutig. Es hat Hinweischarakter, der Hinweis muß jedoch durch die Begegnung mit dem Wort jesu verifiziert werden.
Der Bezug auf den Glauben als konstitutiver Faktor
Mk 534,36b,440,923f,1052, Mt810 par Lk79 (=Q), Lk1719 (SLk) Typische Wendung: "Dein Glaube hat dich gerettet".
Der Glaube ereignet sich in der aktuellen Einzelbegegnung mit Jesus und greift über die Heilung hinaus. Glaube ist das Zutrauen, das in Jesus Gottes heilvolle zuwendung zur Welt findet.

Die Deutung der Wundergeschichte in den synoptisxhen Evangelien
Das Markus-Evangelium
Kontrapunkt zum Wunder ist die Geheimnistheorie des Markus. Auf der einen Seite das Wunder als entscheidender Faktor im wirken Jesus, anderer seite die Geheimnistheorie. Obwohl die Wunder allgemein sichtbar waren und an die Öffentlichkeit drängten, brachten sie nicht Glaube, sondern Unglaube und Entfremdung. Aufgrund des Jüngerunverständisses und der Geheimnistheorie kann Jesus erst am Kreuz als der erkannt werden, der er eigentlich ist. Somit können auch die Wunder nicht zur Erkenntnis der Person Jesus führen. Die Wunder Jesu sind also vorlaufende verborgene Offenbarungen des Auferstandenen, aus ihrer Darstellung soll die nachösterliche Gemeinde auch mit der Hilfe des Erhöhten rechnen können.
Das Matthäus-Evangelium
Die Einzelheiten der Wunder fallen der matthäischen Kürzungstendenz zum Opfer. Im Zentrum der matthäischen Verkündigung steht die Lehre Jesus nicht die Wunder, die nur der Erfüllung der at-lichen Verheißung dienen. So werden die Wunder zu Hinweisen der eschatologischen Lehrvollmacht.
Das Lukas-Evangelium
Die Wunder sind Zeichen der jesuanischen Heilszeit.
Typen des Wunderverständnisses in der neueren Theologie

Die rationalistische Erklärung
Zurückführung der Wunder auf natürliche, rational erklärbare Vorgänge, d.h. ihre Historizität wird nicht geleugnet, lediglich ihr wunderbarer Charakter.
Kritik: Die moderne Welterfahrung wird Maßstab der damaligen Wirklichkeit gemacht.

Die mythologische Erklärung
meint die Aufnahme von Wundern aus der Umwelt, um Jesu Bedeutung ausdrücken zu können. Bultmann ergänzt diese Erklärung mit der Kerygma-Theologie.
Kritik: Wird den nt-lichen Sachgehalt nur teilweise gerecht, da ein großer Teil der synoptischen Wundererzählungen frei von mythologischen Tendenzen ist.

Die anthropologische Erklärung
entwickelt von Feuerbachs und Freuds Religionskritik: Wunder als Projektionen unerfüllbarer Wünsche, Grenzüberschreitungen, in denen das Leben im hier und jetzt, besser im damals und dort negiert wird. Bei den Neomarxisten, wen Roloff damit auch immer meint, gelten Wunder als Transzendierung der gegeben Verhältnisse  auf die noch nicht verwirklichten Möglichkeiten des Menschseins.
Die sozialpsychologische Erklärung
Wundergeschichten als symoblische Handlungen, in denen die konkrete Negativität der Welterfahrung einer bestimmten Schicht überwunden wird.
Innerneutestamentliche Relativierung
Versuch das Gewicht der Wunder durch eine innerneutestamentliche Gegenbewegung zu relativieren.